Seit dreißig Jahren vorausgesagt, strömen Menschenmassen aus den hoffnungslosen Hungerländern der Dritten Welt, aus barbarischen Bürgerkriegen oder vom Balkan mit besonderen Wohlstandserwartungen in die noch reiche Nordhälfte der Welt.
Unser bisheriges Aufnahmesystem kollabiert. Fremdenabwehr schnellt in die Höhe und wird vom gewaltbereiten Mob genutzt. Was auch immer getan wird: Konflikte bei der Unterbringung, Verteilung, Entscheidung und mühsamer Integration sind unvermeidlich, aber zivilisierbar.
Die derzeitigen, weltweiten Flüchtlingstragödien haben erst begonnen. Es beginnt eine Völkerwanderung, die zu stoppen langwierig sein wird und schließlich nur in den Herkunftsländern wenn schon nicht lösbar, aber minimierbar sein können. Die Migration aus Afrika z. B. hat mit Staatszerfall, sozialer Hoffnungslosigkeit und Umweltzerstörung (die Wüsten wachsen) zu tun – aber sie haben auch mit uns und unserem Lebensstil und unserem Wohlstand zu tun, denn eine weltweite Weltwirschafts-Un-Ordnung mit Überfluss- und Elendsländern verschärft weltweit die Konflikte.
Mit den Flüchtlingen aus aller Welt rücken uns die Weltprobleme auf den Pelz. Wir haben sie (mit) verursacht: durch den Export von Riesenmengen von modernsten Rüstungsgütern, durch eine EU-Agrar-Subventions-Politik, die die einheimische Landwirtschaft – zum Beispiel in Afrika – kaputt konkurriert, wenn etwa durch den Geflügelfleisch-Abfall die dortige Nutztieraufzucht unrentabel gemacht oder Soja wird auf Feldern angebaut wird, die für die einheimische Nahrung bestimmt gewesen war.
Das kostet den Mensch dort das kostbare Wasser und kommt in Riesenmengen als Billigfutter in unsere Riesenmastanlagen, sodann als Billigfleisch in die Supermärkte. Natürliche Lebensräume werden großflächig ausgebeutet und in einem vernichteten „verwüsteten Zustand“ hinterlassen. Wenn wir nicht zu einer gerechteren, nachhaltigeren, regional unterschiedlich bedingten und vermarkteten Landwirtschaft kommen, werden die Hungerströme nicht abreißen, die Bürgerkriege als Teil der Ressourcenkriege sowieso nicht.
Was in den Wohlstandsländern auf dem Müll landet, wird in der Dritten Welt zur Hungerfalle. Aber Wohlsituierte wie Fettgefressene hierorts sprechen abschätzig und kalt von Wohlstandsflüchtlingen. Und die Elendsströme von Zuwanderern sind durchmischt von Leuten, die sich gern die Mühe machen würden, in ihren Heimatländern mit anzupacken. Aber dazu brauchen sie alle zuhause eine Perspektive.
In der globalisierten Welt mit Ausbeutungsherrschaft der reichen Länder und deren Kooperation mit korrupten Herrschaftseliten der vormaligen sog. „Dritten Welt“ kommt nun „ein Problem“, nämlich die ungerechte Weltwirtschaftsordnung in Form von Menschen zu uns und über uns.
Zu uns bisherigen Nutznießern kommen die Opfer der gewissens- und gnadenlosen neoliberalen Konkurrenzwelt. Es kommen Verfolgte, Vertriebene, Verzweifelte, Verstörte, Geschundene und erhoffen sich bei uns ein weitgehend von Gewalt freies und sozioökonomisch besseres Leben. Und sie werden mit einer Vorausstigmatisierung belegt, als ob vor allem Kriminelle sich zu uns aufmachen würden, die sich auf unsere Kosten hier ein gutes Leben machen wollten, die unseren lang erarbeiteten Wohlstand gefährden und uns die Arbeitsplätze wegnehmen wollten.
Da kommen in Wirklichkeit Verängstigte und Traumatisierte sowie viele, viele junge Leute, die in ihren Herkunftsländern keine Hoffnung, keine Ausbildungs- oder Berufschancen mehr sehen.
Gewissenslose, geldgierige Schlepperbanden machen sich die Hoffnungslosigkeit anderer zynisch zunutze. Das Mittelmehr wimmelt inzwischen von Leichen – allein 2015 bisher 2.500 Ertrunkene. Wer es bis hierher geschafft hat, dem wird jetzt von vielen „Einheimischen“ Angst gemacht, damit sie abgeschreckt werden und nicht weiter zu uns kommen.
Da wurden lebensangsteinflößende Signalfeuer angefacht und Unterkünfte abgefackelt, bevor überhaupt eine einzige Flüchtlingsfamilie aus Syrien oder ein Schwarzafrikaner bei uns angekommen ist. Der Mob macht mobil und der Mob erreicht die Mitte. Unsere Gesellschaft spaltet sich in Deutsche, die sich aktiv für eine Willkommens-Kultur einsetzen und andere, die Xenophobisches aufgreifen und anfachen. Gegen Stimmungen, gar gegen Hassattacken helfen keine Argumente. Stimmungen sind anheizbar und schlagen um in Gewalt. Polizisten in Heidenau hatten Todesangst. 16 Polizisten verletzt, zwei der Gewalttäter dingfest gemacht. Die Demokratie muss ihre Wehrhaftigkeit erweisen und sie braucht Zustimmung und aktive Unterstützung der Bürger.
Artikel 1 des Grundgesetzes gilt es auszufüllen und zu verteidigen:
“Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.”
Ist es nicht verständlich, dass Leute der Hoffnungslosigkeit zuhause entfliehen, deren Angst sich in Überlebenswillen gewandelt hat, die dafür alles riskieren, sich bei uns ein einigermaßen gesichertes Leben versprechen? Hungerflüchtlinge sind keine egoistischen Wirtschaftsflüchtlinge, sondern hungernde Menschen.
Dass Integration ein längerer, viel Geduld erfordernder, nicht konfliktfreier Prozess ist, kann nicht kleingeredet werden. Aber die erneute Angst muss leidgeprüften Zuwanderern genommen werden: durch äußere und innere Öffnung, durch wohlüberlegte und breit unterstützte Strategien für Integration – ohne die Probleme zu leugnen, die beim Zusammentreffen verschiedener Kulturen entstehen. Doch ein Skandal, über den es zu wenig Empörung gibt, ist es, wenn geplante Unterkünfte angezündet werden, ehe überhaupt ein einziger Flüchtling da ist.
Zukünftige Asylbewerberheime, brennen sch jetzt – „vorsorglich“ – werden zu angsteinflößenden Signalfeuern für andere sein, die vielleicht in ihren Herkunftsländern noch immer die Hoffnung haben, hier gut leben zu können. Weitere Flüchtlinge sollen auf die Weise nicht angelockt, sondern abgeschreckt, bzw. möglichst schnell in die Hoffnungslosigkeit „zuhause“ zurückverfrachtet werden.
Mehr als 800.000 Zuwandernde werden in diesem Jahr in Deutschland erwartet. Dies ist eine Herausforderung für unser Land, für Behörden wie für zukünftige Nachbarn. Und das nicht bloß, was die logistische und ökonomische Bewältigung angeht. Das bisherige Aufnahmesystem ist dabei zu kollabieren. Die Verfahrens-Zeit wird mit zu geringem Mitarbeiterbesatz noch längern dauern und wird problemverschärfend wirken.
Wir brauchen mitten aus unserer in dieser Frage gespaltenen Gesellschaft mehr Empörung über die Gewaltexzesse, mehr Mitgefühl mit Bedrängten, mehr praktische Hilfe, sowohl durch unsere Gesetzgebung wie durch unser zivilgesellschaftliches Engagement. Jedenfalls muss uns der Präventivterror zur Abschreckung von asylsuchenden Flüchtlingen, vor allem Bürgerkriegsflüchtlingen und aus hoffnungslosen Lagen kommenden Afrikanern erschrecken. Denn ihnen wird, bevor sie da sind, schon unterstellt, sie seien eine elementare Gefahr für unser Leben und Zusammenleben. Bereits Verängstigten und Traumatisierten wird Angst gemacht. Nicht übersehbare Probleme mit Zuwanderern werden geschürt, statt sie zu lösen. Wir können und sollten Mit-Bürger gewinnen!
Wir alle sind als Teil der Weltzivilisation herausgefordert, den mörderischen, unvorstellbar brutalen Praktiken des sogenannten Islamischen Staates entschlossen entgegenzustehen. Dieser zivilisatorische Einbruch braucht Widerstand, auch militärischen, ohne die Ursachenanalyse und die Mitschulderkenntnis „des Freien Westens“ zu unterlassen.
Überfremdungsängste und gewalttätige Revierverteidigungsstrategien können sogar aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu Exzessen führen oder aber zivilgesellschaftlich aufgefangen werden.
Wir werden wohl oder übel mit Weltwanderungsbewegungen zu tun haben. Wo Menschen aus Hunger, Durst, wirtschaftlichem Niedergang und Perspektivlosigkeit kommen und ihr Leben riskieren und das auch noch auf seeuntüchtigen Booten von gewissenlosen Schlepperbanden. Wir stehen in der Mitte des Jahres 2015 vor dem Härtetest für unseren liberalen Rechtsstaat, sofern dieser nicht rein deklamatorisch beschworen wird, sondern täglich konkret an den universellen Menschenrechten festhält. Und das bedeutet praktisch auch, dass das Wort Willkommenskultur nicht zur bloß plakatierten, zur hohlen (Politiker-)Phrase verkommt.
Dies braucht ein Zusammenstehen der Demokraten und es gehört zu den Aufgaben des Bundespräsidenten, zusammen mit Gewerkschaften und Parteien, mit Initiativgruppen und Kirchen, für eine Atmosphäre zu werben und einzustehen, aus der heraus wir klarmachen, wofür wir in unserem Land stehen, was wir nicht dulden, wem wir aus menschlichen Gründen helfen müssen und was wir nicht leisten können.
Die schrittweise Einbürgerung wird nicht ohne Teilen gelingen. Unmissverständlich und deutlich muss bleiben, daß alle, die hierher kommen und hier auf Dauer bleiben wollen, sich bei uns geltenden gesetzlichen Regeln zu unterwerfen haben – ohne sich zu erniedrigen: Unsere Sprache lernen, eine Ausbildung anfangen, unsere grundgesetzlichen Vorgaben einhalten und keine Parallelgesellschaften gar mit Parallelgesetzgebungen zulassen.
Flüchtende Menschen zuerst Menschen, die unsere Zuwendung und Hilfe brauchen. “Hier bin ich Mensch. Hier darf ich sein” war auf einem Transparent zu lesen – an die Flüchtlinge gerichtet, von einer jungen Frau und ihrem Freund in Dresden am 28.8.2015 getragen. Ein Satz aus Faust I von Goethe wird zur freundlichen Einladung. Auf dass eine Syrierin mit ihren Kindern das so sagen könnte… So soll es sein! So soll es sein!
Die Weltgesellschaft ist mit großem internationalem Einsatz und einer Langzeitstrategie dazu herausgefordert, Bedingungen schaffen zu helfen, unter denen Menschen in ihren Heimatländern ein einträgliches, ein sicheres, ein zuversichtliches Leben führen können, daß sie dort, wo sie herkommen und hingehören, auch menschenwürdig leben können.
Ein Weltwirtschaftssystem allerdings, das gnaden- und bedenkenlos ausbeuten kann, wann und wo und was und wie viel es will, wird weiter (und durch klimawandlungsbedingte Wetterextreme sich verschärfende Katastrophen) den Tod, das Verhungern, Verdursten und Erfrieren Tausender in Kauf nehmen und gleichzeitig verkraften müssen, wie viele weiterhin, ihr Unglück auf ihren Irrfahrten einkalkulierend, ungerufen zu uns kommen. Wir werden sie so leicht und schnell nicht wirklich gelingend integrieren können, aber uns redlich und mit höherem Einsatz darum bemühen – zum Beispiel durch mehr LehrerInnen mit speziellen Kompetenzen ausbilden oder vorrübergehend aktivieren.
Bei anhaltender Emotionalisierung und populistischer Ausnutzung auftretender Konflikte, können die zivilisatorischen Grundannahmen unserer demokratisch verfassten europäischen Staaten Schaden nehmen. So ist die Abwehr der Zuwanderer & Asylsuchenden in Ungarn, in Polen oder im Baltikum nichts weniger als besorgniserregend.
Zusammengefasst gesagt:
Niemand von uns kann sich Gleichgültigkeit leisten.
Keiner sollte auftretende Integrationsprobleme leugnen. Jeder sollte daran mitwirken, daß unsere Kultur vielfältiger wird, aber wir auf unsere eigene Kultur nicht verzichten wollen und brauchen.
Der sich verbreitende Fremdenfuror jedenfalls ist keine Lösung und wo erst einmal Abfackeln von Wohnhäusern hingenommen wird, werden noch ganz andere Brände entstehen.
Toleranz hat auch etwas mit Tragen, mit Ertragen, aber vor allem mit Kennen, Verstehen und Anerkennen zu tun.
Im Alten Testament wird mehrfach eingeschärft, mit Fremdlingen menschlich umzugehen.
Im Buche Leviticus heißt es unmissverständlich:
“Wenn ein Fremdling bei euch wohnt in eurem Lande, den sollt ihr nicht bedrücken. Er soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer unter euch und du sollst ihn lieben wie dich selbst, denn ihr seid auch Fremdlinge gewesen in Ägyptenland.” (Lev. 19, 33.f.)