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Eine befriedete Welt ist möglich – Zur Erinnerung an den Weltfriedenstag

Friedrich Schorlemmer Juli 2018

Unsere Welt ist im Aufruhr. Das Ferne rückt uns nahe. Was gilt noch im zwischenstaatlichen Verkehr? Und welche Auswirkungen hat die Unzuverlässigkeit und Brüchigkeit eingegangener (internationaler!) Verpflichtungen, unterschriebener Verträge, gegebener Versprechen, geteilter Träume? Welche grundlegenden Auswirkungen wird der Zerfall  auf den regionalen, den lokalen und den personellen Ebenen haben?! Die auf Freiheit, Gerechtigkeit, Frieden basierte Globalisierung steht in dramatischer Weise auf dem Prüfstand. Wenn nicht mehr alle an alles denken, denken bald alle nur noch an sich. Dann beginnt ein neues kannibalisches Zeitalter. Diese eine, so (auf-)geteilte Erde, gehört uns allen, allen Erdenbürgern. Wir haben alle im Prinzip gleiche Lebensrechte. Konflikte können und Konflikte sollen zivilisiert gelöst werden, sonst schlittern wir hier oder dort in neue Kriege mit unabsehbarem Eskalationspotential. Waren das noch Zeiten, als man die Konflikte, die weit weg lagen, von sich selbst weit weg empfinden konnte. So lässt Goethe Bürger seiner (noch überschaubaren) Welt bei ihrem Osterspaziergang sagen:

“Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn-und –Feiertagen,
als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
wenn hinten, weit, in der Türkei,
die Völker aufeinanderschlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus…”

Was anfänglich 2010 begeistert begrüßt wurde, nämlich der Nord-Afrika und den Nahen Osten umfassende Arabische Frühling, wurde zum anhaltenden Desaster – in Libyen, in Ägypten, in Syrien. Die Probleme von “da hinten in der Welt” kommen direkt zu uns. Verlust- und Überfremdungsängste mutieren zu Abwehrkämpfen. Die inzwischen mehrheitsfähige Parole lautet: „Wir zuerst!“ Archaische Denkmuster werden wieder politikfähig und ersetzen politische Strategien für die eine Welt. Egozentrik heißt das Fallbeil.

Erinnern tut not: Es war der von Deutschland ausgegangene, der nach großen Opfern auf allen Seiten verlorene Raub- und Vernichtungskrieg, der die Völkergemeinschaft dazu brachte, nach universellen Werten zu streben und sie in internationalen Verträgen zu kodifizieren. Die Vereinten Nationen sollten das entscheidende Mittel sein, werden, bleiben,  fortan (selbstermächtigte Angriffs-)Kriege zu verhindern, Kriege wenigstens einzudämmen die für alle gültigen Menschenrechte innen- und außenpolitisch zu etablieren. Nachdem gerade die faschistischen Regime in Europa das Nationalistische auf ihre Kraken-Fahnen geschrieben hatten, konnten sie mit Hilfe der Amerikaner und ihrer Re-Edukation, ihrer Entnazifizierung erstaunliche Erfolge erzielen. Nicht zu vergessen der gigantische Blutzoll der Völker, die seinerzeit zur Sowjetunion gehört hatten.

Insbesondere die westliche Welt drang darauf, allgemein-menschliche Prinzipien zu formulieren und zu kodifizieren. 1948 – also vor genau 70 Jahren – wurde die “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” formuliert und deklariert – noch vor dem Kalten Krieg mit Zweiteilung der Welt, mit “Eisernem Vorhang”, mit ideologischer Unvereinbarkeit von Ost und West. Der atomare, zu  zigfachem Overkill fähige Ost-West-Konflikt verhinderte zwar nicht barbarische (Bürger-)Kriege, führte aber auch immer wieder zu zivilisierten Lösungen oder einem mit Vernunftgründen erreichten Status quo bei fortgeführter Aufrüstung, nicht zuletzt  mit Massenvernichtungswaffen. (Seit 1953 verfügte auch die SU über eine einsatzbereite Atom- und später auch um die Wasserstoffbombe.)

Das Gleichgewicht des Schreckens hatte zivilisierende Wirkung, die gegenseitige Untergangsangst. Einen Wimpernschlag lang schien die Menschheit seit Gorbatschow  auf einen gemeinsamen Wege zu gehen, nachdem die Sowjetunion auf ihren politischen wie ideologischen Alleinvertretungsanspruch verzichtet und sich in die Gemeinschaft der allmenschlichen Werthierarchien integriert hatte.

Gemeinsame Sicherheit wurde zum gemeinsamen politischen Ziel. Toleranz und Dialog avancierten zu den pazifisierenden Mitteln bei immer wieder aufkommenden Konflikten, seien sie nationalistisch, ökonomisch, ideologisch, religiös oder kulturell bedingt. Die Entwicklung fand ihren Höhepunkt und zugleich ihren bedauerlichen Abschluss in der Charta von Paris vom Mai 1990. Die USA nutzten die Gunst der Stunde, um als einzige Weltmacht übriggeblieben zu sein. Der US-amerikanische Unilateralismus schob sich vor den befriedenden Multilateralismus unter der Geltung der Menschenrechte, die für alle gelten und allen zugute kommen sollten.

Das nicht ohne die Siegerstaaten des Zweiten Weltkrieges zustande gekommene bundesdeutsche Grundgesetz 1949 schrieb auf eine geradezu feierliche Art fest, welches die Grundprinzipien einer freiheitlichen, friedlichen, rechtsstaatlichen, nationalen und universalen Gesetzgebung sind: “Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Darum bekennt sich das deutsche Volk zu den unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.”

Es ist auffällig und es wird heutzutage so gut wie gar nicht thematisiert, dass unter der Hand ein Paradigmenwechsel stattfindet, wo archaische Denk- und Verhaltensmuster nun wieder die Oberhand gewinnen. Anstelle friedlicher Konkurrenz tritt nach und nach wieder der Kampf aller gegen alle.

Ein von den USA ausgehender, die gesamte politische und ökonomische Architektur der Welt bedrohlich betreffender und bald unsteuer-ausuferbarer Wirtschaftskrieg hat begonnen. Niemand weiß, wohin das noch führen wird.

Unsere Europäische Union, im Jahre 2001 noch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet, gerät in einen Sturzflug. Wenn Nationalismus wieder zu einer europäischen, alle ansteckenden Pest würde, so würde selbst die Sprache mehr und mehr verrohen. Die neue rechtsnationalistisch-populistische Vereinigung AfD attestiert unserer Bundeskanzlerin, dass sie einen Dachschaden hätte – also nicht ganz zurechnungsfähig sei. Sie sei eine Fehlbesetzung, sie sei gescheitert, Europa hätte sie gespalten und sie würde nun auch unser Land und ihre Partei ruinieren. Der im Abkanzeln geübte sogenannte Heimatminister erpresste mit einem der Öffentlichkeit nicht bekannten 10-Punkte-Masterplan die gesamte Regierung. Sollte ein Heimatminister nicht erst einmal den Genitiv üben? Frau Merkel sei nur “wegen mir” Kanzlerin geworden, meinte er. Wie das? Wegen ihm oder doch lieber “seinetwegen”, also „meinetwegen“. Jedenfalls ist der Dativ ist dem Genetiv sein Feind! Und ein Heimatminister sollte sich in der Heimatsprache gut auskennen.  Die Kanzlerin hielt unbeirrbar daran fest, eine internationale Lösung für den Zustrom von Migranten zu suchen, statt auf nationale Alleingänge zu setzen. Immerhin hat sie erreicht, dass einige europäische Länder inzwischen bereit sind, gesamteuropäische Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu üben. Gilt nicht auch in Bayern, dass getroffene Abmachungen verlässlich sind und Politik in einer Koalition sich an den unterschriebenen Koalitionsregeln ausrichten muss? Verantwortliche Politik hat immer auch nach der Zumutbarkeit zwischen Streitenden zu suchen und einen beiderseitig vertretbaren Kompromiss ohne Selbstaufgabe oder Gesichtsverlust zu finden.

Das Gelingen einer Koalition beruht auch darauf, dass gilt, was verabredet wurde und dass das gegenseitig honoriert wird, wenn die Regierung Erfolge vorweisen kann, statt dass man in der Koalition zu einem lähmenden Dauer-Vorwurfs-Wahlkampf kommt.

Wenn die Dublin-Vereinbarung nicht ergänzt wird durch einen Mechanismus der fairen Verteilung der Migranten in ganz Europa, wird die (praktisch unerreichbare) Sicherung der Außengrenzen dazu führen, dass Menschen weiter massenhaft absaufen oder/und Wege suchen, wie sie aus Griechenland und Italien nach Deutschland und andere, reichere Staaten gelangen. Dass verzweifelnde Flüchtlinge ihr Heil massenhaft in der EU und besonders in Deutschland suchen würden, war voraussehbar. Mauer und Schießbefehl sind ausgeschlossen. Oder nicht?

Kollektive Fluchtursachenbeseitigungsmaßnahmen  sind eine Langzeitaufgabe. Transitzentren sind mit schnellen Rückführungsmechanismen allerdings keine Lösung, sondern nur eine Verschiebung – ganz abgesehen davon, dass das in der Realität praktisch kaum funktionieren kann. Europäische Politik muss auch immer nach der Zumutbarkeit für die betroffenen Menschen, nach der Zumutbarkeit für das jeweilige Zielland Land und seine Bürger fragen, ohne sich selber mit seinen wertebestimmten Grundlagen aufzugeben und ohne nach der „Zumutbarkeit für die AfD“ und deren fremdenfeindlich-populistischen  Tiraden  zu fragen. Im Übrigen gilt eine Generalmaxime: Statt Flüchtlingsbekämpfung in den Mittelpunkt zu stellen Flüchtlingsursachen zu bekämpfen!

67 Millionen Erdenbürger sind gegenwärtig weltweit auf der Flucht. Das Glück für uns Deutsche, nicht zu den weltweit Umherirrenden zu gehören, auferlegt uns – wie anderen reichen Ländern – die Aufgabe zu helfen. Politisch ist von allen Demokraten daraufhin zu wirken, dass es nie wieder zu jenem Gauland’schen “Vogelschiss der Geschichte” kommt. Ja, es geht auch um Deutschland. Um das Großartige an diesem Land, für das sich alle Mühe lohnt, das aus seiner Geschichte gelernt hat, das sich seiner Schande stellt und das Großartige an unserem land dankbar hütet. Und niemand sollte bestreiten, dass die Integration wahrlich kein Sonntagsspaziergang ist. Fremde hier heimisch werden zu lassen, wird Mühe kosten, Leidenschaft und historischen Verstand brauchen: “…dass ein gutes Deutschland blühe wie ein andres gutes Land”, so Bert Brecht 1949. Schließlich: Bei einem Heimatminister ist zu erwarten, ist vorauszusetzen, dass das Pathos des Vaterlandes von der Liebe zur Muttersprache flankiert wird. Und so möge Horst Seehofer “wegen mir” bei seinem Verweis darauf bleiben, dass eine Bundeskanzlerin “nur wegen ihm” Kanzlerin geworden sei. Es steht viel Größeres an. Eine befriedete Welt.