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Am 15. November 2023 fand im Konferenzsaal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die 3. Veranstaltung der Diskussionsreihe „Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ statt.

Eingeritzte Hakenkreuze, Nazi-Sprüche an Schulen, Chatnachrichten unter Schüler:innen, Hass und Hetze im Netz: Antisemitismus und Rassismus, brandaktuell. Und es gibt diese Vorfälle zunehmend, auch an Brandenburger Schulen. Gleichzeitig scheint sich die offene Zivilgesellschaft zurückzuziehen. Aber warum?
Dabei darf sie Rechtsextremist:innen und Reichsbürger:innen das Terrain nicht überlassen. In Brandenburg müssen rechtsradikale und demokratiefeindliche Strukturen aufgebrochen werden. Aber wie? Darüber wurde mit den hochkarätigen Podiumsgästen unter dem Titel Land unter in Brandenburg?” diskutiert:

Jörg Müller, Leiter der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg
Prof. Dr. Friederike Lorenz-Sinai, Professur für Methoden der Sozialen Arbeit und Sozialarbeitsforschung an der Fachhochschule Potsdam
Hannes Püschel, Jurist und Kriminologe, arbeitet als Berater für Betroffene rechter Gewalt bei der Opferperspektive e.V.
Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz.

Moderiert wurde die Veranstaltung von Sabine Schicketanz, Journalistin und Chefredakteurin der Potsdamer Neuesten Nachrichten und Mitglied der Erweiterten Chefredaktion Tagesspiegel.

Wie verfestigt sind eigentlich rechtsextreme Strukturen in bestimmten Regionen Brandenburgs und tut das Land auf politischer Ebene genug, um dem etwas entgegenzusetzen? Schon die erste These des Abends machte deutlich, wie kontrovers die Meinungen waren, nicht nur bei den Podiumsteilnehmern, sondern auch im Publikum. Jurist und Kriminologe Hannes Püschel fragte, ob Staat und Justiz sich in Teilen Südbrandenburgs zurückgezogen haben und vielleicht sogar auf „dem rechten Auge blind“ seien. Verfahren würden sich ewig hinziehen oder einfach eingestellt werden. Jörg Müller, Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes widersprach natürlich, räumte aber ein, dass in manchen Regionen rechtsextreme Strukturen sehr stark verfestigt seien.

Die „letzte Bastion“ des Staats seien daher auf dem Land oftmals die Schulen – umso gravierender die Vorfälle wie beispielsweise zu Beginn des Jahres in Burg. Zu häufig wurde weggesehen, nicht gehandelt, nicht eingeschritten. Eine Folge des Lehrer*innenmangels? Oder der fehlenden Ressourcen? Frau Lorenz-Sinai wusste aus ihren Studien, dass Lehrer*innen sogar Teil des Problems sein können – auch in deren Chats kam es zu rassistischen und antisemitischen Äußerungen, auch hier wurde weggeschaut, nicht gehandelt. Oftmals fehle den Betroffenen für ein beherztes Handeln und Einschreiten schlicht der Rückhalt der Schule, aber auch der Schulämter. Hier liege akuter Handlungsbedarf. Katrin Schöning, Lehrerin aus Kleinmachnow, die sich in ihrer Arbeit täglich mit “Free Palestine”-Rufen und anderen antisemitischen Äußerungen der Schülerschaft auseinandersetzen musste, berichtete hierzu: „Ich war nach zwei Wochen physisch und psychisch ausgepowert. Ich fühle mich alleingelassen.“

Handlungsbedarf sah der Leiter des Verfassungsschutzes auch beim Thema Radikalisierung, von Erwachsenen, aber auch von Kindern und Jugendlichen. Diese findet im Netz statt, in den sozialen Medien. Auch wenn es ein schwieriges Unterfangen sei problematische Inhalte auf Plattformen wie z.B. Tik-Tok schnell und dauerhaft löschen zu lassen, so müsse man doch hartnäckig sein und immer weiter dranbleiben. Darüber hinaus sei Medienkompetenz an Schulen dringend notwendig. Die Kinder müssten lernen ihre Informationsquellen zu hinterfragen. Püschel, der für den Verein Opferperspektive e.V. tätig ist, machte auch deutlich, dass sich die rechten Strukturen in den letzten Jahren massiv gewandelt haben. Hatte man früher den klassischen Neonazi, der nicht weiter in die Gesellschaft eingebunden war, so sieht man sich heute mit einer Rechten konfrontiert, die sich als Sprachrohr mancher Gesellschaftsbereiche sieht und damit natürlich die großen Erfolge der AfD mitträgt. Hierzu sagte Hans Püschel: „Wir haben eine andere Rechte, eine gesellschaftlich verankerte Rechte.

Die Quintessenz des Abends war klar – es besteht massiver Handlungsbedarf, auf vielen Ebenen, in vielen Bereichen. Politik und Zivilgesellschaft müssen künftig entschieden Farbe zeigen und entschlossen handeln! Konsens herrschte jedoch auch darüber, dass bereits so manch gutes Projekt läuft – so z.B. Jugendgeschichtsinitiativen, die Schulen gegen Rassismus oder auch Lehrer*innenfortbildungen zum Thema Antisemitismus. Diese weiterzuführen und auszubauen ist nun wichtiger denn je.

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