Documenta, Berlinale, Eurovision Song Contest und die Clubkultur – wird Antisemitismus Standard in der Kulturwelt? Um was geht es, um Kunst- und Meinungsfreiheit oder um politische Agitation? Wo ist der Staat gefragt? Und, nicht zu vergessen: Wie geht es dabei jüdischen und israelischen Künstler:innen hier in Deutschland?
Diese und andere Fragen diskutierten nach kurzer Einführung von Susanne Krause-Hinrichs
die Podiumsgäste
Andrej Hermlin, Pianist und Bandleader,
Dr. Alice Brauner, Deutsche Journalistin und Filmproduzentin, stellvertretende Vorsitzende des Freundeskreis Yad Vashem e.V.,
Dervis Hizarci, Vorstandsvorsitzender der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus e.V., und
Prof. Dr. iur. Norbert Janz, Lehrbefugnis für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Potsdam,
mit Moderator Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Tagesspiegels.
“Das große Schweigen … auch von jenen Kulturschaffenden, die sonst sehr laut sind …” – das war die große Enttäuschung für Frau Brauner und Herrn Hermlin nach dem Massaker des 7. Oktober. Und was geschah nach dem Schweigen? Dann wurde gehetzt, gegen Jüdinnen und Juden, gegen Israel! Aber was kann man dagegen tun? Was muss man dagegen tun? Soll und muss man konsequent Anzeige erstatten? Oder ist das Sinnlos? “Schwierig”, sagt Dervis Hizarci: “viele haben das Vertrauen in Politik und Justiz verloren”.
Ist wirklich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung antisemitisch, wurde gefragt? Oder wissen die meisten nicht was sie tun? Und darf man den Staat Israel kritisieren, ohne Antisemit zu sein? Kontrovers wurde diskutiert – vielschichtig geantwortet. Einig war man sich, dass es allerhöchste Zeit ist zu agieren, Farbe zu bekennen, nicht still zu sein und vor allem Paroli zu bieten!
3. Veranstaltung: “Land unter in Brandenburg?”
Am 15. November 2023 fand im Konferenzsaal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die 3. Veranstaltung der Diskussionsreihe „Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ statt.
Eingeritzte Hakenkreuze, Nazi-Sprüche an Schulen, Chatnachrichten unter Schüler:innen, Hass und Hetze im Netz: Antisemitismus und Rassismus, brandaktuell. Und es gibt diese Vorfälle zunehmend, auch an Brandenburger Schulen. Gleichzeitig scheint sich die offene Zivilgesellschaft zurückzuziehen. Aber warum?
Dabei darf sie Rechtsextremist:innen und Reichsbürger:innen das Terrain nicht überlassen. In Brandenburg müssen rechtsradikale und demokratiefeindliche Strukturen aufgebrochen werden. Aber wie? Darüber wurde mit den hochkarätigen Podiumsgästen unter dem Titel “Land unter in Brandenburg?” diskutiert:
Jörg Müller, Leiter der Abteilung Verfassungsschutz des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg
Prof. Dr. Friederike Lorenz-Sinai, Professur für Methoden der Sozialen Arbeit und Sozialarbeitsforschung an der Fachhochschule Potsdam
Hannes Püschel, Jurist und Kriminologe, arbeitet als Berater für Betroffene rechter Gewalt bei der Opferperspektive e.V.
Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz.
Moderiert wurde die Veranstaltung von Sabine Schicketanz, Journalistin und Chefredakteurin der Potsdamer Neuesten Nachrichten und Mitglied der Erweiterten Chefredaktion Tagesspiegel.
Wie verfestigt sind eigentlich rechtsextreme Strukturen in bestimmten Regionen Brandenburgs und tut das Land auf politischer Ebene genug, um dem etwas entgegenzusetzen? Schon die erste These des Abends machte deutlich, wie kontrovers die Meinungen waren, nicht nur bei den Podiumsteilnehmern, sondern auch im Publikum. Jurist und Kriminologe Hannes Püschel fragte, ob Staat und Justiz sich in Teilen Südbrandenburgs zurückgezogen haben und vielleicht sogar auf „dem rechten Auge blind“ seien. Verfahren würden sich ewig hinziehen oder einfach eingestellt werden. Jörg Müller, Leiter des Brandenburger Verfassungsschutzes widersprach natürlich, räumte aber ein, dass in manchen Regionen rechtsextreme Strukturen sehr stark verfestigt seien.
Die „letzte Bastion“ des Staats seien daher auf dem Land oftmals die Schulen – umso gravierender die Vorfälle wie beispielsweise zu Beginn des Jahres in Burg. Zu häufig wurde weggesehen, nicht gehandelt, nicht eingeschritten. Eine Folge des Lehrer*innenmangels? Oder der fehlenden Ressourcen? Frau Lorenz-Sinai wusste aus ihren Studien, dass Lehrer*innen sogar Teil des Problems sein können – auch in deren Chats kam es zu rassistischen und antisemitischen Äußerungen, auch hier wurde weggeschaut, nicht gehandelt. Oftmals fehle den Betroffenen für ein beherztes Handeln und Einschreiten schlicht der Rückhalt der Schule, aber auch der Schulämter. Hier liege akuter Handlungsbedarf. Katrin Schöning, Lehrerin aus Kleinmachnow, die sich in ihrer Arbeit täglich mit “Free Palestine”-Rufen und anderen antisemitischen Äußerungen der Schülerschaft auseinandersetzen musste, berichtete hierzu: „Ich war nach zwei Wochen physisch und psychisch ausgepowert. Ich fühle mich alleingelassen.“
Handlungsbedarf sah der Leiter des Verfassungsschutzes auch beim Thema Radikalisierung, von Erwachsenen, aber auch von Kindern und Jugendlichen. Diese findet im Netz statt, in den sozialen Medien. Auch wenn es ein schwieriges Unterfangen sei, problematische Inhalte auf Plattformen wie z.B. Tik-Tok schnell und dauerhaft löschen zu lassen, so müsse man doch hartnäckig sein und immer weiter dranbleiben. Darüber hinaus sei Medienkompetenz an Schulen dringend notwendig. Die Kinder müssten lernen ihre Informationsquellen zu hinterfragen. Püschel, der für den Verein Opferperspektive e.V. tätig ist, machte deutlich, dass sich die rechten Strukturen in den letzten Jahren massiv gewandelt haben. Hatte man früher den klassischen Neonazi, der nicht weiter in die Gesellschaft eingebunden war, so sieht man sich heute mit einer Rechten konfrontiert, die sich als Sprachrohr mancher Gesellschaftsbereiche sieht und damit natürlich die großen Erfolge der AfD mitträgt. Hierzu sagte Hans Püschel: „Wir haben eine andere Rechte, eine gesellschaftlich verankerte Rechte.“
Die Quintessenz des Abends war klar – es besteht massiver Handlungsbedarf, auf vielen Ebenen, in vielen Bereichen. Politik und Zivilgesellschaft müssen künftig entschieden Farbe zeigen und entschlossen handeln! Konsens herrschte jedoch auch darüber, dass bereits so manch gutes Projekt läuft – so z.B. Jugendgeschichtsinitiativen, die Schulen gegen Rassismus oder auch Lehrer*innenfortbildungen zum Thema Antisemitismus. Diese weiterzuführen und auszubauen ist nun wichtiger denn je.
2. Veranstaltung: “Lasst die Synagoge im Dorf”
Bilder: Corinne Holthuizen-Habermann
Am Abend des 9. Mai 2023 fand im Konferenzsaal des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam die 2. Veranstaltung der Diskussionsreihe „Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ statt.
Jesus? War ein Jude. Bis zu seinem Tod. Christus ist er erst später geworden. Ja, die christliche Religion entstammt dem Judentum. Trotzdem – oder gerade deswegen? – haben die Kirchen mit antisemitischen Bildern und Mythen die Gesellschaft jahrhundertelang vergiftet. Welche Verantwortung ergibt sich daraus für kirchliches Handeln heute? Kampf dem Antisemitismus – versprechen sie. Wenn das so ist: Müssen dann z. B. antisemitische Schmähplastiken aus dem Mittelalter entfernt werden? Oder reicht es, sie besser zu erklären?
Unter dem Titel „Lasst die Synagoge im Dorf“ diskutierten die Podiumsgäste:
- Dr. Christian Stäblein, Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO)
- Dr. Christian Staffa, Theologe und Antisemitismusbeauftragter der EKD
- Dr. Julius H. Schoeps, Historiker und Gründungsdirektor des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam sowie Vorstandsvorsitzender der Moses Mendelssohn Stiftung
- Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz und Vorstand der AMCHA-Stiftung Deutschland
Moderiert wurde die Veranstaltung von Stephan-Andreas Casdorff, Herausgeber des Tagesspiegels.
Die sogenannte Judensau war natürlich eine der meist diskutierten Fragen – Muss sie weg? Oder reicht es aus, sie zu kontextualisieren? Die Meinungen waren so kontrovers, wie komplex. Während mancher Podiumsteilnehmer strikt gegen eine Entfernung der Plastiken war und die Frage aufwarf, ob durch die Tilgung nicht auch eine Verfälschung von historischen Tatsachen einherginge, plädierten manche Teilnehmer für eine differenzierte Lösung: welche Plastik wird wo gesehen? Ist sie Teil der Liturgie?
Landesbischof Stäblein sagte hierzu im Artikel der MAZ vom 10.05.2023: “Wichtig sei, solche Darstellungen zu erklären, in ihren Zusammenhang zu stellen und sich zugleich scharf davon zu distanzieren, betonte er: Wo es beseitigbar ist, muss man es auch beseitigen.“
Mit Blick auf die Schmähplastik im Kreuzgang des Brandenburger Doms nahm der Gründer des Moses Mendelssohn Zentrums, Julius H. Schoeps, im Artikel der PNN vom 10.05.2023 eine andere Position ein: “Entferne ich bestimmte anstößige Stellen aus dem Kulturgut, blieben leere Flecken“, sagte Schoeps. „Das ist eine große Gefahr.“ Man könne vieles erklären, und man sollte es erklären. „Ich bin fürs Erklären“, so Schoeps.”
Diskutiert wurde aber auch über interreligiösen Dialog, über dringend notwendigen innerchristlichen Dialog, der Verantwortung der christlichen Kirche an der bis heute andauernden Tradierung antisemitischer Bilder und der engen Verflechtung christlichen und jüdischen Glaubens.
Einig waren sich abschließend jedoch alle – Jesus war vor allem auch ein Mensch.
1. Veranstaltung: „Antisemitismus – die Medien in der Falle?“
Am 10.03.2023 fand die erste Veranstaltung der Debattenreihe „Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte statt. Unter dem Titel „Antisemitismus – die Medien in der Falle?“ diskutierten die hochkarätigen Podiumsgäste:
- Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus
- Louis Lewitan, Autor, Mediencoach und Psychologe
- Anna Staroselski, Vorsitzende der jüdischen Studierendenunion Deutschland
- Ronen Steinke, Rechtspolitischer Korrespondent der Süddeutschen Zeitung
Moderiert wurde die Veranstaltung vom Herausgeber des Tagesspiegels Herr Stephan-Andreas Casdorff, die Einführung hielt Frau Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz.
Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? Diese Fragen gaben die Inhalte des Abends vor, führten zum Einfluss des deutschen Schuldbewusstseins auf die in den Medien tradierten Themen, zur Frage nach der Aufarbeitung der Geschichte und mündeten oftmals in der Forderung nach mehr Sichtbarkeit vielfältigen, jüdischen Lebens in Deutschland und der Abkehr von Klischees.
Im Artikel “Klischees vermeiden” von Joshua Schultheis über die Podiumsdiskussion in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung vom 16.03.2023 heißt es hierzu: “Noch auf eine zweite »Falle« ging Casdorff ein: Während sich Artikel über Judenhass gut klickten, interessierten solche über das alltägliche Judentum häufig deutlich weniger. »Berichten wir zu wenig über das normale jüdische Leben?«, fragte der erfahrene Journalist. »Auf jeden Fall«, kam von Staroselski umgehend die Antwort; Steinke äußerte den Wunsch, Redaktionen würden »Abstand nehmen von eingefahrenen Klischees« und mehr die tatsächliche Realität von Jüdinnen und Juden in Deutschland abbilden, und Klein sieht ein »mediales Defizit« in der Repräsentanz insbesondere des säkularen Judentums.”
„Potsdam Publik: Debatten zum Antisemitismus“ ist eine gemeinsame Veranstaltungsreihe der F.C. Flick Stiftung gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Intoleranz mit der Brandenburgischen Gesellschaft für Kultur und Geschichte gGmbH (BKG).
Die Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) ist Partnerin der Veranstaltungsreihe.