Stiftungsratsmitglied Dr. Friedrich Schorlemmer hat sich zu den erschütternden Ereignissen in Clausnitz und Bautzen geäußert.Zusätzlich berichtete die Leipziger Volkszeitung zu diesem Vorgang. Untenstehend finden Sie den Kommentar. Der Artikel der LVZ kann unter folgender Adresse abgerufen werden: Leipziger Volkszeitung vom 23.02.2016
„Wir sind der Mob“
Das passt unendlich viel besser als das so missbräuchlich gebrauchte “Wir sind das Volk!“ Die Wahrheit sollten sie sagen, die immer so gegen „die Lügenpresse“ polemisieren. Da war nämlich in Clausnitz und Bautzen nicht unser „deutsches demokratisches Volk“ freiheitlich-friedlich versammelt, sondern da war gewalttätiger, angstmachender, brüllender oder klatschender, buchstäblich anfeuernder, deutschtümelnder Mob zusammengeströmt. Bisweilen sekundiert äußere Wirklichkeit menschlichen Zynismus: Der in Clausnitz von „besorgten Bürgern“ umstellte Bus zeigte als leuchtenden Zielanzeiger „Reisegenuss“. Der Leiter der geplanten Unterkunft ist nicht nur AfD-Mitglied mit dem bürgerlichen Namen „Hetze“, sondern dessen Bruder Hetze hatte die Bürgeransammlung organisiert und offenbar die Ankunftszeit des Busses von seinem Bruder erfahren. Ca. 50 m vor der Asylunterkunft wird der Bus umstellt, von diesen „wehrhaften“ Bürgern umringt. Kinder weinen. Ein Junge ist sichtbar angstgeschüttelt und will den ihn bisher schützend erfahrenen Bus nicht verlassen, wird mit dem „einfachen Klammergriff“ herausgezwungen. Das Vorgehen nennt der Polizeipräsident hernach „absolut notwendig und verhältnismäßig.“ „ Absolut!“ – Größer geht’s nicht mehr. Und er läßt verlauten, dass man bezüglich des Verhaltens einzelner Businsassen, die provozierende Gesten gemacht hätten, noch ermitteln müsse. Solch Zynismus der Staatsmacht ist unübertreffbar. Der Gejagte ist schuld, nicht die, die die Fremden verjagen wollen: „Haut ab! Rückwärtsgang“ Was haben diese armen Flüchtlinge den Brüllern getan? Wo ist menschliches Mitempfinden geblieben? Alle Schamgrenzen sind fallengelassen. Ein zivilisatorischer Tiefpunkt ist erreicht. Das Dumpfe einer Grölmeute heult durch das ganze Land D. Wo Fremdenfeindlichkeit, krudes Deutschtum und irratonale Ängste kulminieren, da ist – mit derart Verhetzten – ein Dialog nicht möglich. Viel Nacharbeit wird am Ort nötig sein. Die Politik bleibt in der Pflicht, die komplexen Zusammenhänge und die zur Verfügung stehenden Alternativen zu erklären, berechtigte, übersteigerte oder irrational geschürte Ängste wahrzunehmen und zu entkräften. Die Hysterisierung ist zurückzufahren. Die Phobien sind weder zu beschwören, noch zu unterschätzen, sondern auch die Chancen sind geduldig, mutig und entschlossen zu ergreifen, ohne dabei fast unvermeidliche, aber lösbare Konflikte zu leugnen. Integration z.B. ist ein länger währender herausfordernder Prozess. Dass unsere Rechtsordnung für alle gilt, ist selbstverständlich. Die Zivilgesellschaft ist herausgefordert. Sachsen droht seinen guten 89iger Ruf zu verlieren. Wer heute schläft, kann morgen in einem anderen Lande ein böses Erwachen erleben. Die Zumutbarkeitsgrenzen nicht zu überschreiten ist das eine, Solidarität ganz Europas einzufordern das andere, Rückführung nicht Asylberechtigter menschenwürdig zu organisieren ist das dritte. Menschenrechte haben in Deutschland eine Heimat! Keiner wird deshalb glauben, wir könnten „die ganze Welt bei uns aufnehmen.“ Dass wir unsere Kultur – von Fremden bestimmt – untergraben würden, kann ich nicht erkennen. Das schaffen wir schon selber! Andererseits reicht mir jedenfalls die Beschwichtigung einiger besonders kluger Kommentatoren nicht, es gäbe immer einen 10%igen Bodensatz, der antidemokratisch-autoritär, völkisch-xenophob, gar profaschistisch sei. Die akut gewordene Gefahr zu übertreiben, lähmt – sie beruhigend zu beschwichtigen, überliesse dem und den Dumpfen mit deren hohen zivilisatorischen Defiziten das Feld.
Herr Tillich, fahren Sie bitte heute noch nach Clausnitz in die Flüchtlingsunterkunft zu den Verängstigten und wagen Sie sich auch zu Ihren Einheimischen, Ihren Sachsen dort, die das Volk hatten sein wollten, aber der Mob wurden. Und die Bischöfe Sachsens sollten den nun traurig-weltbekannten Ort auch nicht allein mit sich lassen.
Friedrich Schorlemmer 22.2.2016 14.30