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Am 30. Juni fand Dank der Unterstützung des Universitätspräsidenten Herrn Prof. Oliver Günther im Audimax der Universität Potsdam das gemeinsam mit dem Moses Mendelssohn Zentrum und dem Abraham-Geiger Kolleg veranstaltete Symposium „Mit der Verfassung gegen Antisemitismus“ statt, bei dem über die Ergänzung des Artikel 7a der Brandenburger Landesverfassung um das Staatsziel „Antisemitismusbekämpfung“ diskutiert wurde.

Wissenschafts- und Kulturministerin Maja Schüle eröffnete das Symposium mit klaren Worten: „Wenn wir den Antisemitismus historisieren oder als etwas uns, unserer ach so aufgeklärten Gesellschaft Fremdes missverstehen, werden wir ihn nicht bekämpfen können. Der Kampf gegen den Antisemitismus duldet kein Aber.“ Mit ihrer Rede wurde der Grundtenor der Diskussion deutlich: Der Kampf gegen Antisemitismus geht uns alle an und erfordert unter den aktuellen gesellschaftspolitischen Umständen besondere Aufmerksamkeit.

In seiner Begrüßung wies Herr Prof. Günther, Präsident der Universität Potsdam darauf hin, dass die Bekämpfung des Antisemitismus eine politische, kulturelle und auch legislative Herausforderung darstelle und daher die Frage nach der Gesetzgebung einen wichtigen Beitrag in der Debatte leiste.

Frau Susanne Krause-Hinrichs, Geschäftsführerin der F.C. Flick Stiftung, bedankte sich bei allen Redner*innen, die ehrenamtlich und ohne Honorar ihren Beitrag zum Symposium leisteten. Sie erinnerte an die Vorgängerveranstaltung des Symposiums zum Thema „Antisemitismus in Ostdeutschland“, die schon vor zwei Jahren erschreckende Ergebnisse brachte. Der gegenwärtigen Situation, u.a. den Ereignisse in Halle, stehe man entsetzt und ratlos gegenüber. Der Kampf gegen Antisemitismus brauche keine „plakative Gesetzgebung“, sondern konkrete politische, rechtliche, exekutive  und juristische Schritte, die einen stärkeren und festeren Boden in der Brandenburger verfassungsrechtlichen Grundordnung  benötigten.

Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka ging in seinem Beitrag auf die Besonderheiten des Antisemitismus ein, bei dem es sich um ein „allumfassendes System von Ressentiments und (Verschwörungs-)Mythen [handelt], dass sich wie Gift in unserer Gesellschaft verbreitet und unsere Werte zersetzt.“ Unter dieser Prämisse sprach er sich auch mit Blick auf das rechtspopulistisch Gedankengut in Brandenburg eindeutig für die vorgeschlagene Verfassungsergänzung aus: „Die Verankerung der Antisemitismusbekämpfung als Staatsziel wäre ein deutliches Zeichen für das Jüdische Leben in diesem Land, dass sich alle Menschen unter dieser Verfassung auf Augenhöhe zusammenfinden können, um unser vielfältiges Gemeinwesen in die Zukunft zu tragen.“

Nach diesen einleitenden Worten und Einschätzungen folgten die Vorträge der Expert*innen aus verschiedenen Perspektiven.

Den Anfang machte Peter Schüler, Leiter der Fachstelle Antisemitismus im MMZ, die für die Sensibilisierung gegenüber- und Dokumentation von antisemitischen Vorfällen in Brandenburg zuständig ist. Nach einer Erläuterung der verschiedenen Formen des Antisemitismus und der Arbeitsweise der Fachstelle machte Herr Schüler deutlich, dass in den letzten Jahren ein massiven Anstieg verschiedener antisemitischer Handlungen zu beobachten sei, wobei man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müsse. Wichtige Punkte seien weiterhin die Erfassung antisemitischer Vorfälle vor allem in Schulen und Bildungseinrichtungen (diese zählen zu den häufigsten Tatorten), die Sensibilisierung u.a. von (angehenden) Lehrer*innen und Jurist*innen angesichts des Missbrauchs von Recht und Gesetz durch rechtsextreme Milieus sowie die Vermittlung der Bedeutung jüdischen Lebens in der Geschichte Brandenburgs.

Auch apl. Prof. Dr. Gideon Botsch von der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus (EJGF) im MMZ stützte die Ausführungen seines Vorredners und verwies darauf, dass die Gefahr des Antisemitismus eindeutig dem in Brandenburg ansässigen Rechtsextremismus zugeordnet werden müsse und keineswegs, wie seit 2015 zeitweise angenommen, auf Geflüchtete aus dem arabischen Raum zurückzuführen sei.

Jewgeni Kutikov, Vorsitzender, und Alexander Kogan, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde „Adass Israel zu Potsdam“ verwiesen vor allem auf die praktische Seite der geführten wissenschaftlichen Debatte. Sie erzählten von persönlichen Erfahrungen mit Antisemitismus, vor allem aber von der Angst, die die aktuellen Entwicklungen schürten. Eine Verankerung der Antisemitismusbekämpfung in der Verfassung würden sie daher begrüßen, um damit weitere juristische Möglichkeiten zur Bekämpfung der „Krankheit Antisemitismus“ zu eröffnen. Dennoch sei es vor allem wichtig, die Fremdenfeindlichkeit der Menschen schon früh zu bekämpfen, bevor sie sich festsetze. Nicht umsonst sei auch laut Thora das Schwierigsten für den Menschen, einen anderen Menschen zu lieben, viel leichter und gewissermaßen Alltag jedoch, andere Menschen zu hassen. Die Hauptfrage sei damit, wie der Hass überwinden werden könne und dieser Aufgabe müssten Verantwortliche – Eltern, Politiker*innen, Wissenschaftler*innen usw. – sich frühzeitig widmen.

In einem zweiten Teil wandte sich das Symposium den juristischen Perspektiven zu. Den Anfang machte hier Karen Sokoll, LLM, Rechtsanwältin, Richterin am Verfassungsgericht Brandenburg. Sie verwies zwar darauf, dass zu Artikel 7a noch keine verfassungsgerichtliche Spruchpraxis vorliege, jedoch erläuterte sie, was genau ein Staatsziel ist und was die Verankerung der Antisemitismusbekämpfung als Staatsziel mit sich bringen würde. Anhand verschiedener ähnlicher anderer Beispiele stellte sie vor allem fest: „Für die Einordnung einer Verfassungsnorm als Staatsziel, für den daraus abgeleiteten staatlichen Schutzauftrag und für seine Gewichtung, auch in Abwägung zu anderen Verfassungsgütern, kam es vor allem auf den präzisen Wortlaut an; ferner auf den Willen des Verfassungsgebers, den Gesamtzusammenhang sowie Sinn und Zweck der Norm.“

Apl. Prof. Dr. iur. Norbert Janz, Landesrechnungshof Brandenburg und Lehrbefugnis für Staats- und Verwaltungsrecht, Verfassungsgeschichte und Staatskirchenrecht an der Universität Potsdam, schaute sich im Anschluss den Vorschlag zur Verfassungsergänzung genauer an. Er verwies zum einen auf die formellen Voraussetzungen der zwei-drittel Mehrheit für eine solche Ergänzung und zum anderen darauf, dass, materiell gesehen, die Verfassungsänderung unproblematisch wäre, da sie den Verfassungskern nicht anrühren würde. Auch die Position der anti-Antisemitismusklausel als Ergänzung der 2013 eingeführten Antirassismusklausel 7a sei optimal gewählt. Den Formulierungsvorschlag für die Ergänzung befand Herr apl. Prof. Dr. Janz  als grundsätzlich gut, schlug jedoch kleinere Änderungen vor, die überdacht werden könnten, bevor es zum Änderungsvorschlag komme.

Es folgte ein Bericht von Prof. Dr. Julia Bernstein, die über ihre Forschungsergebnisse zum Thema Antisemitismus in der Schule berichtete, welche vor kurzem unter dem Titel „Antisemitismus an Schulen in Deutschland. Befunde – Analysen – Handlungsoptionen“ veröffentlicht wurden. Ihre Ausführungen bestätigten auch noch einmal die Ergebnisse der Fachstelle Antisemitismus, die Schulen und Bildungseinrichtungen als einen der häufigsten Tatorte von antisemitischen Vorfällen erfasste.

Den Abschluss machte Herr Wilfried Lehmann, leitender Oberstaatsanwalt Potsdams, der über die möglichen Auswirkungen der diskutierten Verfassungsänderung für die Staatsanwaltschaft referierte. Auswirkungen könnten sich beziehen auf die personelle Ausstattung der Behörde, auf die Blickschärfung gegenüber den Erscheinungsformen von Antisemitismus und den Täter*innenprofilen, auf die Entscheidungspraxis oder auf die begriffliche Fassung oder Definition von Antisemitismus. Bezüglich der ersten beiden Aspekten erwartet Herr Lehmann keine Auswirkungen durch die Änderung, jedoch könnte die Festsetzung als Staatsziel unterstützend dafür wirken, dass bei der Aus- und Fortbildung von Staatsanwälten der Blick auf die verschiedenen Formen des Antisemitismus geschärft würde. Des Weiteren plädierte Herr Lehmann für eine weiterführende Forschung zur Erhebung und Weiterverarbeitung der Informationen über antisemitische Vorfälle durch u.a. RIAS, Polizei und schließlich Staatsanwaltschaft.

In einer abschließenden offenen Runde, moderiert von Julius H. Schoeps und Susanne Krause-Hinrichs konnten Fragen gestellt, Verständnisprobleme geklärt und über weitere Zusammenarbeit gesprochen werden.

 

Das gesamte Symposium können Sie sich hier anschauen.

 

Zurzeit arbeiten wir außerdem an einem Kompendium, welches die einzelnen Beiträge noch einmal gebündelt nachvollziehbar machen wird.